Neuigkeiten aus dem Archiv – 02.12.2014

In der Welt am Sonntag ist eine Rezension zur 5-teiligen Dokumentation „Ostpreußen: Panorama einer Provinz – erzählt aus alten Filmen 1913-1948“ erschienen.


Urlaubsort, Aufmarschgebiet, Künstleroase: Wie bisher unbekannte Amateurvideos das alte Ostpreußen auferstehen lassen

Ein mit Heu beladener Kahn gleitet vorbei. Im Hintergrund sind Schilfschnitter am Werk. Plötzlich füllt der in eine weiße Uniformhose verpackte Hintern eines preußischen Soldaten das Bild. Und wieder kommt ein Kahn, darin ein Herr mit hohem Hut und eine Dame im weißen Sommerkleid. Sie hält einen Sonnenschirm über den Kopf. Der Soldat fällt in den Sumpf. Allgemeines Gelächter. Der Herr in dem Kahn dreht sich zur Kamera. Ein weißer Vollbart bekränzt sein Gesicht.

Der Herr und die Dame stammen aus Oberschwaben und gehören dem Bund für Vogelschutz an. Die Kahnfahrt unternehmen sie jedoch nicht auf dem Bodensee, sondern mehr als tausend Kilometer nordöstlich davon auf einem der Memelarme, die sich ins Kurische Haff ergießen. Ob sie die Elche sahen, die sie hier in der Elchniederung suchten, erfährt man nicht. Als Dokument der Ostpreußenreise im Sommer 1913 hat sich nur diese kurze Amateurfilm-Sequenz erhalten, ein absurder Moment, eine Sommerfrischen-Gaudi ein Jahr vor dem Großen Krieg, der hier gleich in den ersten Wochen des Augusts 1914 kein Krieg an fernen Fronten, sondern ein Krieg auf deutschem Boden war.

Bald sieht man in Hermann Pölkings DVD-Edition „Ostpreußen. Panorama einer Provinz erzählt aus alten Filmen 1913–1945“ zerstörte Gehöfte und brennende Häuser. Preußische Regimenter marschieren auf und ziehen in endloser Kolonne über gepflasterte Chausseen. Hindenburg und Ludendorff, die Helden der Schlacht von Tannenberg, haben ihren Auftritt. Aber keine Angst, das hier ist nicht der Beginn einer mehr als fünfstündigen Zeitgeschichts-Dokumentation aus der TV-History-Werkstatt mit Zeitzeugen- und Experteninterviews. Nichts davon.

Fünf Stunden lang sprechen vor allem die Bilder, unterlegt mit einem sich auf die nötigsten Informationen beschränkenden Kommentar, wenigen gesprochenen Erinnerungsdokumenten und sparsamen atmosphärischen Kunstgeräuschen. Bei einem großen Teil dieser Bilder handelt es sich um private Aufnahmen. Man erlebt also den Alltag einer Provinz, deren apokalyptischer Untergang und Verlust immer präsent sind, durch ein Medium, das als private Alltagstechnik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen steckt. Wenig professionell, aber auch spontan und frei von ästhetischer oder politischer Regie sind viele dieser Amateuraufnahmen. Gerade deshalb fangen sie oft ungewollt Facetten des wirklichen Lebens ein.

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Nachfolgend ein Trailer zur Dokumenatation:

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